Christiane Grathwohl-Scheffel // Eröffnungsrede der Ausstellung „Verborgene Orte“ im Kunstverein March, 2014

Eröffnungsrede der Ausstellung „Verborgene Orte“ im Kunstverein March

von Christiane Grathwohl-Scheffel M.A., Kunsthistorikerin, Freiburg

5. Februar 2014

Nicole Bold ist 1969 in Überlingen geboren worden und dort aufgewachsen. In den 90er Jahren hat sie ihr Studium der Malerei an der Akademie in Stuttgart absolviert bei Professor Peter Chevalier und lebt heute mit ihrer Familie in der ländlichen Umgebung von Biberach. Ihre Ausstellung hier im Kunstverein March im Alten Pfarrhaus nennt sie „Verborgene Orte“, ein Titel, der etwas Geheimnisvolles, Intimes suggeriert. Verborgene Orte, an die nicht leicht zu gelangen ist, die versteckt sind, entdeckt werden müssen. Orte, die ihre Präsenz in der Malerei, ihren Ausdruck im Bild finden.

Nicole Bold beschäftigt sich intensiv mit der Natur. Die gesehene, sie umgebende Natur, der eigene  Garten mit seinen Pflanzen, der nahegelegene Bach und die als Kind erlebte, die erinnerte Natur des Bodensees und seiner Umgebung. Die gegenwärtigen und vergangenen Landschaften vermischen sich mit der auf Reisen wahrgenommenen Natur. Alle diese Wahrnehmungen fließen zusammen in einem Bildgedächtnis, das sich in ihrer Malerei niederschlägt.

Die Natur ist für die Künstlerin ein unerschöpfliches Ideenreservoir. Eins ergibt sich aus dem anderen. Der Blick ins Kleine, Detaillierte – wie oben im Dach die Bilder von einzelnen Früchten und Samenkapseln, von Blättern und Blüten – dient zur Schulung des Auges und der eigenen Fertigkeiten. Die Übungen von Hand und Auge im Skizzenbuch klären die Formensprache und sind eine Disziplinierung des Blicks. Das Ungefähre hat in den Skizzenbüchern keinen Platz, es geht um die Übertragung des real Gesehenen, des wirklich Vorhandenen. Daher ist es für die Künstlerin unverzichtbar, wie auch in den Jahren als Nicole Bold ihr Studium an der Kunstakademie in Stuttgart absolvierte, immer wieder zurück zu kehren zur Basis des künstlerischen Handwerks, zum konkreten Zeichnen, zur Übertragung räumlicher Situationen und körperhafter Volumina aufs Papier. Nichts Geringeres ist in diesen Studien angestrebt als die genaue Niederschrift der Dreidimensionalität der im Raum befindlichen Körper auf die zweidimensionale Fläche des Zeichenblatts.

Nicole Bolds Skizzenbuch ist ein Leporello, eine ziehharmonika-artige aufzufaltende lange Papierbahn, auf der sich ein Motiv ans andere reiht. Diese Blüten hier, der Strauch mit seinen Beeren dort, die eigenartigen Zweige und Äste da. Der Papierstreifen des Leporellos erlaubt es, je nach Faltung unterschiedliche Motive nebeneinander zu sehen. Streifen könnten angeklebt, die Zeichnung fortgesetzt werden. Im Leporello ist per se enthalten der Charakter der Reihung, der quasi endlosen Fortsetzung und des offenen Endes. Nicht umsonst kommt der Begriff des Leporellos aus Mozarts Oper „Don Giovanni“, wo sein Diener mit Namen Leporello ein Faltblatt aufblättert mit all den Namen der eroberten Damen seines Herrn, ein Name reiht sich an den nächsten, es geht immer weiter, kein Ende ist absehbar. So lassen sich auch die Motive im Skizzenbuch verlängern, weiter führen, übereinander falten, das Skizzenbuch öffnet sich, wie eine Erzählung, die sich im Fortschreiben – im Fortzeichnen – entwickelt.

Die Skizzenbücher hat Nicolle Bold zuvor noch nie ausgestellt und vermutlich ist es der Intimität dieses Ortes, dieser Ausstellung geschuldet, dass wir sozusagen einen Blick hinter die Kulissen in die Werkstatt der Künstlerin werfen dürfen, sind die Skizzenbücher doch die Basis, der Ausgangspunkt von dem Nicole Bold ihre fast immer sehr großformatigen Gemälde schafft. Die Skizzenbücher enthalten keine konkreten Vorzeichnungen der Bilder, aber sie enthalten das Motiv-Repertoire, in ihnen findet sich, metaphorisch gesprochen, das Alphabet, mit dem Nicole Bold ihre Bilder buchstabiert. Dass diese Bilder fast immer das ganz große Format verlangen verwundert nicht. Aber es geht auch anders und wie überzeugend auch das mittlere und kleine Format von der Malerin beherrscht wird, können wir in dieser Präsentation der „Verborgenen Orte“ erleben.

Alle Bilder Nicole Bolds leben aus der Farbe und immer ist es für sie die Ölfarbe. Das ist konsequent, denn mit keiner anderen Farbe kann eine so intensive Farbdifferenzierung, eine so hohe Leuchtkraft und Transparenz erreicht werden, wie mit der klassischen Ölfarbe. Nach verschiedenen Experimenten mit anderen Farben, Acryl und Tempera, ist die Künstlerin doch immer wieder zurückgekehrt zur Ölfarbe. Keine andere Farbe konnte ihre besonderen Ansprüche erfüllen. Ja, sie geht sogar noch weiter: Die allgemein im Handel zu erwerbenden Ölfarben reichen ihrem Bedürfniss nach Qualität und Farbvariabilität nicht und so ist sie schon seit ihren Studienjahren dazu übergegangen ihre Farben selbst herzustellen. Diesem Herstellungsvorgang der eigenen Malmittel kommt dabei inzwischen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei. Schon im Anrühren der Farben im Mischen der Pigmente, Harze und Öle liegt ein gewisser alchimistisch wirkender Zauber als Vorbereitung auf das Malen selbst. Damit stellt Nicole Bold sich in eine jahrhundertealte Tradition von der eine aktuelle Ausstellung in Köln mit dem sprechenden Titel „Geheimnisse der Maler“  berichtet, in der die Techniken, Rezepte und Tricks, die eifersüchtig gehüteten Besonderheiten und Mischungsverhältnisse der mittelalterlichen Altarbildmaler vorgestellt und untersucht werden.

Betrachtet man „Fäden des Lichts“ oder „Wintereisfrosten“, beide im vergangenen Jahr entstanden, dann sieht man die feinen Variationen allein der Farbe Weiß, alle gelblicheren, gräulicheren, bläulicheren Töne von Weiß, dann versteht man, warum sich die Künstlerin ihr Farbspektrum selbst schaffen muss. Mit Harzen und Pigmenten rührt sie sich die Farben an, unterschiedlich flüssig, unterschiedlich transparent. Auch Lacke und Tuschen finden ihre Verwendung in den Schichten der Bilder und dies ist ein entscheidendes Charakteristikum dieser Malerei, Schicht liegt über Schicht, eine Malhaut legt sich über die andere und immer lässt sich das darunter liegende noch erahnen.

Der Vorgang des Bildaufbauens in ungezählten Farbschichten ist ein langwieriger und Geduld einfordernder. Jede Farbschicht und sei sie noch so transparent muss erst trocken, bevor die nächste darüber gelegt werden kann. Die Bilder liegen auf dem Atelierboden und wachsen ganz langsam über viele Wochen und Monate. Man könnte sagen sie reifen und deshalb hat die Künstlerin immer mehrere gleichzeitig in Arbeit. Sie werden geprüft und fast alle werden probegehängt im Haus. Herausgenommen aus der Sondersituation im Atelier, im alltäglichen Leben platziert, schaut Nicole Bold immer wieder auf die Bilder an der Wand um zu prüfen, ob sie auch wirklich fertig sind oder ob noch etwas fehlt eine Farbnuance, eine Lackschicht, eine Vertiefung hier, eine Höhung da. Ist es nötig, kommen sie wieder ins Atelier und werden weiter bearbeitet und dann irgendwann sind sie fertig. Nichts fehlt mehr, keine Steigerung mehr möglich.

Während dieses Schaffensprozesses ist die Künstlerin in einem ständigen inneren Dialog. Alle Bilder von Nicole Bold, und so auch die hier ausgestellten, sind eng verbunden mit ihren Titeln. Sprache und Malerei führen ein symbiotisches Zusammenleben und wie die Bilder wachsen, reifen auch die Bildtitel. Die Sprache begleitet die Malerei, akzentuiert sie, gibt ihr noch eine andere Gestalt und lässt außerdem ein assoziatives Verstehen zu. Liest man Titel wie „Die Stille der Auflösung“, „Rot brennt der Himmel wenn er überläuft“ oder „Mit leichtem Flügelschlag“ wird ganz offensichtlich, wie sehr der Titel ein erweiterter Aspekt des Bildes ist. Das Bild und sein Titel sind eine Einheit. Die bewusst poetischen Anklänge in der Sprache muten an wie ein Brückenschlag der Malerei zur Dichtung aber auch – und es kommt einem ganz natürlich vor – ein Brückenschlag hin zur Musik. Nicole Bold nennt diese „Verwandtschaft“ selbst, wenn sie darauf aufmerksam macht, wie entscheidend für ihre Malerei die Schichtung, das Gleichzeitige und Parallele ist, aus dem sich zuletzt der Gesamtklang eines Bildes ergibt. Wie in der Musik die verschiedenen Instrumente, die verschiedenen Stimmen sich übereinander legen und zusammenklingen, so setzten sich ihre Bilder aus den verschiedenen Malschichten in Lagen übereinander. Sie arbeitet mit Bewegungselementen, lässt die dünnflüssige Ölfarbe über die Leinwand fließen und tropfen, verwischt und schafft Unschärfen, setzte Hell gegen Dunkel, Matt gegen Glänzend.

In diesen Bildern ist nichts Statisches, immer gibt es Bewegung, ein Flirren des Lichts, ein Rauschen und Wispern, ein Säuseln und Tropfen. Die Bilder von Nicole Bold führen in verborgene Orte, öffnen, schaffen diese Orte, lassen Spielraum für Phantasie und assoziative Empfindungen. Bei all dieser Offenheit und atmosphärischen Dichte sind sie jedoch immer Ausdruck der intensiven, nie erledigten und immer wieder neu hervorlockbaren  Kraft, der besonders hier so deutlich wahrnehmbaren ganz eigenen Magie der Malerei.

Christiane Geratewohl-Scheffel